Klimafolgen in Europa
Der Klimawandel wirkt sich in den nächsten Dekaden auf alle Gesellschaftsschichten, Infrastruktur und Lebensräume sowie auf unterschiedliche Wirtschaftszweige aus, stellt das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) in seiner Schrift „Klimaangepasste Gebäude und Liegenschaften“ fest. Die ressourcenintensive Baubranche ist einerseits Mitverursacher für die klimatischen Veränderungen, andererseits ist der Bausektor in besonderem Maße von den Extremwetterereignissen betroffen. „Das Bauwesen zeigt gerade vor den aktuellen Klimafolgen wie Hitze, Starkregen, Hochwasser und auch Sturm seine Verletzbarkeit“, so das BBSR. Und weiter: Das Potenzial des Bauwesens zur Anpassung an Klimafolgen sei noch nicht ausgeschöpft; heutige Klimaanpassungsmaßnahmen blieben langfristig wirksam und trügen im Idealfall auch zum Klimaschutz bei (Beispiel: Die bauliche Anpassung an Sommerhitze kann energieintensive Klimaanlagen einsparen.)
Für die kontinentale Region, zu der auch Hessen zählt, in der die NHW Liegenschaften unterhält, erwartet die Europäische Umweltagentur verschiedene Klimafolgen: mehr Wetterextreme, weniger Niederschlag im Sommer, ein erhöhtes Hochwasserrisiko gepaart mit einer steigenden Waldbrandgefahr und grundsätzlich einen höheren Energiebedarf für Kühlung, respektive gesundheitliche Belastungen durch Hitze.
Plötzlich auftretende und schwer vorhersagbare Extremwetterereignisse sind besonders ernst zu nehmen. Gewitter und Starkregen treten während der warmen Jahreszeit häufiger auf und sind für bebaute Gebiete gefährlich. Die entstehenden Wassermassen können oftmals von der Kanalisation nicht vollständig abgeführt werden. Die Versiegelung in den Städten erhöht die Abflussgeschwindigkeit und somit das Überflutungsrisiko.
Aus diesen Gründen liegt es in unserer besonderen Betreiberverantwortung, die in unseren Wohnungen lebenden Menschen vor klimatischen Veränderungen zu schützen. Dazu ist eine klimaresiliente Transformation von Quartieren, Liegenschaften und Gebäuden nötig und Anpassungsmaßnahmen auf jeder Ebene zu ergreifen – von individuellen Maßnahmen am Gebäude bis hin zu Planungen im Außenraum ganzer Quartiere.
Dieses Kapitel steht in einem engen Zusammenhang mit den Berichtsabschnitten zu Klimaschutz,Biodiversität/Umweltschutz und ESG‑Risikomanagement.
Klimaanpassungen müssen Menschen und Gebäude schützen (Auswirkungen)
GRI 3-3 a.
GRI 3-3 b.
Mehr als drei Viertel der deutschen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) und fast 90 % der Großunternehmen erwarten, dass sich die Auswirkungen des Klimawandels (beispielsweise extreme Wetterereignisse) auf die eigene Geschäftstätigkeit auswirken werden. Darauf weist der IW.2050-Praxisbericht 2023 mit Bezug auf das Institut für Mittelstandsforschung hin. Die Einschätzung aus weltwirtschaftlicher Perspektive sieht ähnlich aus, so der Praxisbericht mit Verweis auf den Global Risks Report 2023 des World Economic Forum: Klimabedingte Risiken stellen mittel- bis langfristig die Hauptrisiken von Firmen dar. 70 % der Befragten bewerten bisher bestehende Präventions- und Adaptions-Maßnahmen als (sehr) ineffektiv.
Laut Praxisbericht steigen die durch den Klimawandel zu erwartenden jährlichen volkswirtschaftlichen Folgekosten für den Zeitraum von 2022 bis 2050 im Zeitverlauf exponentiell an. Letztlich summieren sie sich auf 280 bis 900 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Die Flutschäden des Jahres 2021 (hauptsächlich im Ahrtal) belaufen sich mindestens auf geschätzte 40 Milliarden Euro. Schäden in einem derartigen Ausmaß könnten immer häufiger auftreten – bis zur Mitte des Jahrhunderts rein rechnerisch fast jedes Jahr. Auch relevant für die Wohnungswirtschaft: Potenzielle Setzungsrisse, die durch lange Dürreperioden entstehen können und ungeplante, zusätzliche Instandhaltung nach sich ziehen.
Zu den Reaktionen deutscher Firmen auf die Zunahme von Klimarisiken zählen unter anderem Standort-Verlagerungen und bauliche Maßnahmen. Für die Wohnungswirtschaft mit ihrer gebundenen Infrastruktur im Gebäudebestand überwiegen allerdings die Anpassungsbedarfe: Dämmung, Baustoffe mit einer geringen Wärmeleitfähigkeit, Verschattung, Entsiegelung, Regenwassermanagement und Vegetation helfen, die Wärmestrahlungsbilanz, Verdunstungsleistung und die Wasseraufnahmekapazität der Oberflächen zu verbessern.
Die Schlussfolgerung: Ein wirksamer Klimafolgenschutz wird zum obersten Gebot für Architekten und Bauingenieure. Klimaanpassungen in der Wohnungswirtschaft müssen Menschen und Gebäude schützen. Ebenso können sie sich auch wirtschaftlich lohnen, denn mögliche Klimafolgekosten lassen sich durch frühzeitige Investitionen in entsprechende Vorkehrungen senken. Damit verringert sich die Verletzlichkeit von Unternehmen und ganzen Branchen gegenüber Klimaveränderungen.
Klimaresiliente Gebäude und Quartiere (Maßnahmen)
GRI 3-3 d.
Richtlinien und Verpflichtungen (GRI 3-3 c.) zur Klimaanpassung befinden sich im Kapitel zu den allgemeinen Angaben unter GRI 2-23.
Die Identifikation potenzieller Klimarisiken ist für die NHW eine strategische Notwendigkeit, die ausführlich im Kapitel zum ESG-Risikomanagement beschrieben ist. Die erforderlichen Maßnahmen für das operative Geschäft – Anpassung von Quartiersentwicklung und Standardbaubeschreibung – sind Thema dieses Kapitels. Durch diese Vorgehensweise sollen Risiken frühzeitig erkannt und in die Bauprozesse sowie die Bestandsentwicklung eingebunden werden. Wir bewerten fortlaufend, in welchem Umfang die Klimafolgen weitere Anpassungen der Baupraxis erfordern.
Ziele (strategisch / operativ) | Maßnahmen + Meilensteine | Zeithorizont / Zielstatus |
Vorbereitung auf Berichtspflichten gemäß CSRD und ESRS E1; Zielvereinbarung mit dem Land Hessen | Klimarisikoanalyse und -bewertung und deren Auswirkungen auf den Gebäudebestand; Ableitung baulicher Gegenmaßnahmen und deren Integration in die Standardbaubeschreibung | Bis Mitte 2024 |
Bei unseren Zielen berufen wir uns grundsätzlich auf den Klimaplan Hessen, durch den das Bundesland bis 2045 Klimaneutralität erreichen will. Der Klimaplan verfolgt unter anderem, die Anzahl energieeffizienter und klimaangepasster (klimaresilienter) Gebäude in Hessen zu steigern. Das heißt, dass vor allem in Bestandsgebäuden Investitionen getätigt werden müssen, die den Kühl- und Heizenergiebedarf senken. Das Land Hessen ergänzt die Instrumente, die es auf Bundesebene gibt, durch weitere Säulen und fördert beispielsweise Investitionen in die Klimaanpassung.
Bei der Ableitung baulicher Maßnahmen zur Steigerung der Klimaresilienz für unsere Standardbaubeschreibung orientieren wir uns an den Handlungsempfehlungen des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) und der oben genannten Broschüre. Grundsätzlich geht es um Schadensvorsorge und den Schutz vor Extremwetterereignissen, denn diese wirken vermehrt auf die urbanen Oberflächen ein. Daraus resultieren städtische Hitzeinseln, Tropennächte, Überflutungen und Sturmschäden. Wir beobachten daher die Entwicklungen und prüfen potenzielle bauliche Gegenmaßnahmen auf Umsetzbarkeit und Finanzierbarkeit.
Anpassung an Hitze und Strahlung
Schutz vor sommerlicher Hitze setzt zuerst am Gebäude an und dient dem Gesundheitsschutz. Vorrangig geht es dabei um energiesparenden passiven Wärmeschutz durch Dämmung bzw. eine passive Kühlung des Gebäudes durch Sonnenschutzsysteme. Erreicht wird dies auch durch höhere Rückstrahleffekte der Gebäudehülle inklusive der Dachflächen, also durch helle Fassadenfarben, die sich an strahlungsreichen Sommertagen weniger stark erwärmen. All dies soll Überhitzung vermeiden.
Anpassung an Starkregen sowie Hochwasser
Überflutungsschutz vor Starkregenereignissen oder (Fluss-) Hochwasser soll Gebäude und damit Menschen schützen. Dazu dient beispielsweise der Einbau von Rückstauklappen für Gebäudeanschlüsse. Eine weitere Maßnahme ist die Regenwasserrückhaltung in der Freifläche, die als Überflutungsschutz dient. Die Umsetzbarkeit dieser Maßnahmen wollen wir in einem Freiflächenentwicklungskonzept prüfen lassen. Durch die Regenwasserrückhaltung kann die Kanalisation bei Starkregenereignissen vor Überlastung geschützt werden. Auf diese Weise bewahren wir nicht nur unsere Gebäude und die darin lebenden Menschen vor Schaden.
Anpassung an Sturm und Hagel
Für das Sturmrisiko gelten starke regionale Unterschiede. Stürme und Hagel können an Immobilien erhebliche Schäden verursachen. Die NHW prüft dazu unter anderem die Anpassung von exponierten Außenbauteilen (beispielsweise Balkone oder Vordächer), um Beschädigungen zu vermeiden.
Klimaresiliente Quartiersentwicklung
Auch das Umfeld einer Immobilie hat einen großen Einfluss auf das Hitzerisiko. Eng besiedelte städtische Räume zeigen tagsüber signifikant höhere Temperaturen als ländliche Regionen, nachts ist die Auskühlung geringer. Flächen zur Kalt- und Frischluftzufuhr im Quartier müssen gegeben sein. Wir lassen Grün- und Freiflächen mit hitzestressresistenter Bepflanzung und schattenspendender Begrünung anlegen. Dies alles trägt zur Kühlung bei. Damit sorgen wir sowohl für ein angenehmeres Stadtklima als auch für eine höhere Lebens- und Standortqualität. Weitere Maßnahmen sind eine möglichst weitgehende Entsiegelung oder weniger stark aufheizbare Oberflächenbeläge auf Wegen.
Grüne, blaue und gelbe Infrastruktur – Beratung der ProjektStadt
Ziel muss es sein, Klimafolgen ganzheitlich zu begegnen, damit Quartiere „klimafest“, also widerstandsfähiger gegen Stressereignisse werden. Ein Stadtentwicklungskonzept, um Wohnviertel robuster und anpassungsfähiger zu machen, bezieht sowohl grüne, blaue und gelbe Infrastruktur ein.
Die „grüne Stadt“ bietet als Schutz gegen Erwärmung Grünflächen, Flächenentsiegelung, Fassaden- und Dachbegrünung und zusätzliche Verschattung, beispielsweise durch das Pflanzen von klimaresistenten Bäumen. Die „blaue Stadt“ verfügt über Wasserflächen, beispielsweise Teiche oder Kanäle, die miteinander vernetzt sind. Idealerweise fungiert sie als Schwammstadt: Regenwasser wird lokal gespeichert (statt abgeleitet) – beispielsweise auf Einstauflächen wie großen Wiesen oder in Zisternen, also unterirdischen Wassertanks, die das Regenwasser für Trockenperioden speichern. So sollen Überflutungen vermieden und die Bewässerung von Stadtbäumen gefördert werden. Die „gelbe Stadt“ zielt hingegen auf Infrastruktur zur Energieversorgung ab, d. h. vor allem durch erneuerbare Energien, indem Sonne, Wind- und Wasserkraft oder Biomasse genutzt werden.
Die NHW-Stadtentwicklungsmarke ProjektStadt setzt genau dort an und unterstützt Städte und Gemeinden bei der Querschnittsaufgabe, klimaresiliente Wohnviertel zu schaffen. Das interdisziplinär aufgestellte ProjektStadt-Team begleitete im Berichtszeitraum 118 Kommunen bei rund 220 Projekten. Schwerpunkte sind Klimaschutz und Klimaanpassung im Städtebau. Die rund 70 Mitarbeitenden erstellen und optimieren kommunale Energie- und Klimastrategien, finden geeignete Fördermöglichkeiten und verfassen maßgeschneiderte Klimaschutzkonzepte. Darüber hinaus bietet die ProjektStadt eine proaktive Energie- und Bauberatung, energetische Quartierskonzepte und unterstützt bei der kommunalen Wärmeplanung.
Erfolgskontrolle (Wirksamkeitsüberwachung)
GRI 3-3 e.
Unsere Maßnahmen zur Klimaanpassung, die mit den Gebäudemodernisierungen einhergehen, dienen der Gesundheit und -sicherheit unserer Mieterschaft. Wir betrachten die verschiedenen Kennzahlen, die wir zu unseren Modernisierungen erheben (siehe Kennzahlentabelle im Anhang), grundsätzlich als geeignete Indikatoren, um die Auswirkungen auf Gesundheit und Sicherheit im Sinne von GRI 416-1 zu beurteilen.
Als Zeichen für Erfolg werten wir auch die Auszeichnungen, die wir im Berichtsjahr erhalten haben: Die „Klimainsel Kelsterbach“ war 2023 Preisträgerin in der Kategorie „Klimaanpassung“; an der Projektentwicklung war die NHW-Marke ProjektStadt maßgeblich beteiligt. Die Würdigung zeigt die besonderen Verdienste der NHW als Beraterin im Klimaschutz und in der Anpassung an klimatische Veränderungen. Details zur Klimainsel finden sich im Kapitel zur Biodiversität.
Akzeptanz vor Ort (Einbindung von Interessengruppen)
GRI 3-3 f.
Im Berichtsjahr informierte die ProjektStadt, die für Kommunen in Hessen, Baden-Württemberg und Thüringen im Einsatz ist, über Projekte, Planungen und Erfolge: Zum „Tag der Städtebauförderung 2023“ organisierten die NHW-Stadtentwicklungsmarke Veranstaltungen an insgesamt 18 Standorten. Interessierte Bürgerinnen und Bürger waren auch in diesem Jahr aufgerufen, an der Entwicklung ihrer Stadt oder Gemeinde selbst mitzuwirken.
Bei Stadtentwicklungsprojekten wie in Kelsterbach (siehe oben) ist die Anwohnerschaft von Anfang an mit im Boot: Dank der von den NHW-Stadtentwicklungsexperten entwickelten interaktiven, virtuellen 3D-Beteiligungsplattform „Your Voice“ können alle die Fortschritte und Planungen rund um das Fördergebiet erkunden. Grundsätzlich streben wir an, alle Beteiligten und Betroffenen bei unseren Neubauvorhaben in die Planungs- und Bauprozesse einzubinden. Das geschah beispielsweise beim Frankfurter Schönhof-Viertel.
In diese Richtung weist auch der GdW Branchenbericht zu Wohntrends 2040. Der Branchenverband zeichnet darin ein Bild von zukünftigen Wohnanlagen und Quartieren – beispielsweise mit grünen Dächern und Fassaden zur Temperaturregelung, schwammartige Stadtviertel, die dazu beitragen, Schäden an Gebäuden und damit Menschen zu minimieren. Der GdW sagt eine Renaissance wohnungsnaher Grünflächen voraus, die vielfältig genutzt werden (Insektenwiese, Hochbeete, Spielplätze).